Privacy-Handbuch

Mirror von awxcnx.de, Stand: 2013-05-13
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Ich hab' doch nichts zu verbergen, oder?

Haben wir wirklich nichts zu verbergen? Einige Beispiele sollen exemplarisch zeigen, wie willkürlich gesammelte Daten unser Leben gravierend beeinflussen können:
  1. Abgang in den Spitzelstaat
    Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung für Piloten wurde Herr J. Schreiber mit folgenden vom Verfassungsschutz gesammelten Fakten konfrontiert:
    • Er wurde 1994 auf einer Demonstration kontrolliert. Er wurde nicht angezeigt, angeklagt oder einer Straftat verdächtigt, sondern nur als Teilnehmer registriert.
    • Offensichtlich wurde daraufhin sein Bekanntenkreis durchleuchtet.
    • Als Geschäftsführer einer GmbH für Softwareentwicklung habe er eine vorbestrafte Person beschäftig. Er sollte erklären, welche Beziehung er zu dieser Person habe.
    • Laut Einschätzung des Verfassungsschutzes neige er zu politischem Extremismus, da er einen Bauwagen besitzt. Bei dem sogenannten "Bauwagen" handelt es sich um einen Allrad-LKW, den Herr S. für Reisen nutzt (z.B. in die Sahara).
    Für Herrn S. ging die Sache gut aus. In einer Stellungnahme konnte er die in der Akte gesammelten Punkte erklären. In der Regel wird uns die Gelegenheit zu einer Stellungnahme jedoch nicht eingeräumt.

    Weniger Glück hatte ein Bürger, bei dem die Luftsicherheitsüberprüfung im Jahr 2007 negativ ausfiel, da eine Verurteilung aus dem Jahre 1993 rechtswidrig gespeichert wurde. (siehe Bericht des Berliner Datenschutzbeauftragten S.100)
  2. Datenstigma
    Ein junger Mann meldet sich freiwillig zur Bundeswehr. Mit sechs Jahren war er kurzzeitig in therapheutischer Behandlung, mit vierzehn hatte er etwas gekifft. Seine besorgte Mutter ging mit ihm zur Drogenberatung. In den folgenden Jahren gab es keine Drogenprobleme. Von der Bundeswehr erhält er eine Ablehnung, da er ja mit sechs Jahren eine Psychotherapie durchführen musste und Drogenprobleme gehabt hätte.
  3. Kollateralschäden
    Ein großer deutscher Provider liefert falsche Kommunikationsdaten ans BKA. Der zu Unrecht Beschuldigte erlebt das volle Programm: Hausdurchsuchung, Beschlagnahme der Rechner, Verhöre und sicher nicht sehr lustige Gespräche im Familienkreis. Die persönlichen und wirtschaftlichen Folgen sind nur schwer zu beziffern.

    Angesichts der sich daraus ergebenden bisherigen Zustände kann man wohl nur spekulieren, wie viele Kunden der Firma schon zu Unrecht morgens von der Polizei aufgesucht wurden. (Udo Vetter)

    Noch krasser ist das Ergebnis der Operation Ore in Großbritannien. 39 Menschen, zu Unrecht wegen Konsums von Kinderpornografie verurteilt, haben Selbstmord begangen, da ihnen alles genommen wurde. Deutsche Artikelserie zu den Folgen der "Operation Ore": Teil1, Teil2, Teil3.
  4. Leimruten des BKA (oder Honeypot BKA-Website)
    Wie schnell man in das Visier der Fahnder des BKA geraten kann, zeigt ein Artikel von Kai Biermann. Die Webseite des BKA zur Gruppe "mg" ist ein Honeypot, der dazu dient, weitere Sympathisanten zu identifizieren. Die Bundesanwaltschaft verteidigt die Maßnahme als legale Fahndungsmethode.

    Mit dem im Juni 2009 beschlossenen BSI-Gesetz übernimmt die Behörde die Aufzeichnung und unbegrenzte Speicherung personenbeziehbarer Nutzerinformationen wie IP-Adressen, die bei der Online-Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltungseinrichtungen des Bundes anfallenden. Wir können daraus nur den Schluss ziehen, diese und ähnliche Angebote in Zukunft ausschließlich mit Anonymisierungsdiensten zu nutzen.
Nicht immer treten die (repressiven) Folgen staatlicher verordneter Sammelwut für die Betroffenen so deutlich hervor. In der Regel werden Entscheidungen über uns getroffen, ohne uns zu benachrichtigen. Wir bezeichnen die (repressiven) Folgen dann als "Schicksal".

Politische Aktivisten

Wer sich politisch engagiert und auf gerne vertuschte Missstände hinweist, hat besonders unter der Sammelwut staatlicher Stellen zu leiden. Wir möchte jetzt nicht an Staaten wie Iran oder China mäkeln. Einige deutsche Beispiele:
  1. Erich Schmidt-Eenboom veröffentliche 1994 als Publizist und Friedensforscher ein Buch über den BND. In den folgenden Monaten wurden er und seine Mitarbeiter vom BND ohne rechtliche Grundlage intensiv überwacht, um die Kontaktpersonen zu ermitteln. Ein Interview steht online unter dem Titel "Sie beschatteten mich sogar in der Sauna" bereit.
  2. Fahndung zur Abschreckung In Vorbereitung des G8-Gipfels in Heiligendamm veranstaltete die Polizei am 9. Mai 2007 eine Großrazzia. Dabei wurden bei Globalisierungsgegnern Rechner, Server und Materialien beschlagnahmt. Die Infrastruktur zur Organisation der Proteste wurd nachhaltig geschädigt. Wenige Tage nach der Aktion wurde ein Peilsender des BKA am Auto eines Protestlers gefunden.

    Um die präventiven Maßnahmen zu rechtfertigen wurden die Protestler als terroristische Vereinigung eingestuft. Das Netzwerk ATAC konnte 1,5 Jahre später vor Gericht erreichen, dass diese Einstufung unrechtmäßig war. Das Ziel, die Organisation der Proteste zu behindern, wurde jedoch erreicht.
  3. Dr. Rolf Gössner ist Rechtsanwalt, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Mitherausgeber des Grundrechte-Reports, Vizepräsident und Jury-Mitglied bei den Big Brother Awards. Er wurde vom Verfassungsschutz 38 Jahre lang überwacht. Obwohl das Verwaltungsgericht Köln bereits urteilte, dass der Verfassungsschutz für den gesamten Bespitzelungszeitraum Einblick in die Akten gewähren muss, wird dieses Urteil mit Hilfe der Regierung ignoriert. Es werden Sicherheitsinteressen vorgeschoben!
Mit dem Aufbau der "neuen Sicherheitsarchitektur" bedeutet eine Überwachung nicht nur, dass der direkt Betroffene überwacht wird. Es werden Bekannte und Freunde aus dem persönlichen Umfeld einbezogen. Sie werden in der AntiTerrorDatei gespeichert, auch ihre Kommunikation kann überwacht werden, es ist sogar möglich, Wanzen in den Wohnungen der Freunde zu installieren.
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